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September 17, 2014

Wanderung zum Gingee Fort und auf den Spuren der Jains.

Heute lassen wir die Theorie einmal bei Seite und entdecken den Süden Indiens ganz prakmatisch. Nach einem reichlichen Frühstück und köstlichem indischen Tee in Villianur geht es auf eine wunderschöne Wanderung zum Gingee Fort.





Das Gingee Fort liegt im Distrikt von Villupuram. Das Fort ist so gut befestigt, dass Shivaji, der Maratha König, es als „das unbezwingbarste Fort Indiens“ bezeichnete. Ein Teil des Forts wurde im 9. Jahrhundert während der Chola Dynastie errichtet, beendet wurde der Bau von den Kurubas - einer hinduistischen Kaste - während des 13. Jahrhunderts.



Ungefähr 275 Meter Anstieg klingt nicht viel, aber bei rund 32 Grad und 75% Luftfeuchtigkeit mussten wir den ein oder anderen auf der Strecke zurücklassen. Neben schönen Ausblicken haben wir auch Bekanntschaft mit dem ein oder anderem Äffchen machen dürfen.






Nach etwas körperlicher Betätigung geht es weiter mit ein wenig Kulturlehre zum Jainismus:

Der Jainismus ist eine aus dem 5./6. Jahrhundert stammende Religion mit rund 4 Millionen Gläubigen in Indien. Im Tamil Nadu sind Jains sehr verstreut vorzufinden und bilden mit rund 85.000 eine Mikrogemeinschaft. Im Jainismus existieren im Gegensatz zum Hinduismus keine Götter, in Indien ist es den Jains allerdings erlaubt die hinduistischen Götter anzubeten, allerdings ohne ein Resultat davon zu erwarten. Jains sind sehr naturverbunden und daher auch strenge Vegetarier - Berufe mit Verletzungen von Lebewesen werden zum Beispiel nicht ausgeübt. Ihr Lebensziel ist die Erlösung zu erlangen. Dafür müssen sie ihr von Geburt aus bestehendes Karma durch gute - im Jainismus natur- und lebewesenfreundliche - Taten abbauen. Wir Europäer hören oft vom „guten Karma“, welches die Gläubigen anhäufen wollen, um ihre Erlösung zu erhalten. Dies ist allerdings ein großer Irrtum. Es existiert nur „schlechtes“ Karma, welches jeder Jain von Geburt an mit sich trägt und während seines Lebens abbauen kann - wie ein Topf voll schwerer Lasten. Schafft er dieses Karma abzubauen, erreicht er seine Erlösung. Für viele Jains gilt der Hungertot als idealer Tot, da sie im Alter so naturbezogen leben, dass sie sogar Pflanzen als Lebewesen ansehen und sich daher gegen ihren Verzerr sträuben.

Wir haben den Haupttempel der Tamil Jains, den Mel Sithamur Jain Math, in der Nähre von Gingee besucht, der im 9. Jahrhundert errichtet wurde:


Auch hatten wir die Ehre Bekanntschaft mit dem „religiösem Leiter“ dieses Tempels und gleichzeitig auch Haupt der Tamil Jains, Bhattaraka Laxmisena, zu machen, der auch im naheliegenden Kloster lebt. Bhattaraka Laxmisena ist verantwortlich für das Management und die Instandhaltung der Jain Tempel in seiner Umgebung und hält auch deren Zeremonien ab. Es gibt zwei Arten von Jains, die Shvetambaras, die weiße Kleidung tragen und hauptsächlich im Norden ansässig sind, und die Digambaras, die keinerlei Kleidung tragen - also nackt leben - und überwiegend im Süden aufzufinden sind. Bhattaraka Laxmisena gehört zu der letzteren Gruppe, hat sich für unser Treffen allerdings extra ein orangenfarbiges Tuch umgewickelt.


Links ist das Kloster des Bhattaraka Laxmisena zu sehen. 
Rechts im Bilde der Jains Tempel mit seinen verzierten Säulen. Erstaunlich sind die vielen hinduistischen Götter an den Säulen des Jain Tempels. Jedoch waren diese ein Geschenk der Franzosen, da sie zufällig keine Verwendung mehr in anderen Tempeln fanden.


Zu jedem Gott gehört auch immer ein Reittier, hier hat ein Huhn die Ehre.


Zur indischen Kultur- und Religionslehre zählt vor allem Yoga. Jeden Abend von 19 bis 20 Uhr durften wir eine Yoga-Stunde bei unserem Guru Balu nehmen. Der im Bild zu sehende, nicht ganz perfekte, Lotus-Sitz ist nur der Anfang von allem.


Nach dem Besuch im Tempel haben wir uns noch das Dorf angeschaut:
Die Häuser des Dorfes entsprechen der klassischen Bauweise der Hindus. In den großen Städten und denen durch das Government veränderte Dörfer ist dieser Baustil kaum noch anzufinden. Besonders schön und nützlich sind die ineinander liegenden Dachziegel, die bei der extremen Hitze der Sonne für ein kühles Klima im Inneren des Hauses sorgen.




In diesem Dorf leben Jains, Hindus, Muslime und Christen 
in Frieden zusammen, wobei die Jains die Unterzahl darstellen.


Die an der Hausfront angebrachte Menschenpuppe soll das neu errichtete Haus vor bösen Geistern schützen. Sie wird - ähnlich wie bei unserem Richtfest - zu einer bestimmten Bauphase des Hauses dort angebracht. Rechts ist ein weiterer Jain Tempel, als runder Granitstein zu sehen.

Kuruvappanāyakkanpālaiyam Alaaf!

Es ist mal wieder Party Time für die Inder in der Dorfregion von Kuruvappanāyakkanpālaiyam - wer denkt sich solche Namen aus? - denn die Tempeleinweihung steht vor der Tür. Es gibt zwei Gründe warum ein Tempel eingeweiht wird:
  1. Der Tempel wurde neu errichtet und muss demnach zunächst den Segen erhalten, damit der Gott mit seiner Anwesenheit Schutz bieten kann oder
  2. Ein alter Tempel trägt nach einigen Jahrzehnten natürlich auch die Spuren seiner Zeit an sich. Damit dieser Tempel nicht zum Kölner Dom mutiert, verpasst man ihm einmal einen Neuanstrich und segnet diesen aufs Neue.


Mit do-it-yourself Holzkonstruktionen haben die Dorfbewohner Treppenstufen bis oben auf die Tempelgebäude errichtet. Dort wird in der eigentlichen Zeremonie das heilige Wasser über den Tempel gegossen. Zuvor dröhnt ein unglaublicher Lärm aus den überall installierten Sprecheranlagen. Diese sind zwar längst laut Gesetz verboten, doch werden sie noch immer zur Verstärkung der Gebetsgesänge verwendet. Jedoch fällt der Lärm schon gar nicht mehr auf, als plötzlich ein Feuerwerk gleich neben uns gezündet wird. Jede Minute darf man sich erneut aufgrund eines lauten Knalls erschrecken.



Kleinere Tempel in der Umgebung zeigen abstruse Göttergestalten im Inneren. Erst später erfahren wir die eigentliche Bedeutung des seltsamen „Haufengottes“. Bei den Hindus gilt es als göttliche Erscheinung, wenn eine Schlange aus einem Termitenhügel hinaus kriecht. Wird solch eine Beobachtung gemacht wird dieser Termitenhügel gleich zu einer heiligen Stätte erklärt und nach und nach im Laufe der Jahre ein Tempel um ihn herum errichtet.




Voller Erwartung warten die Dorfbewohner auf die Träger des heiligen Wassers. Nach der „Taufe“ des Tempels wird das mit Gewürzen versetzte Wasser über die Menschenmassen gegossen, um alle an dem Event teilhaben zu lassen - was uns ein wenig an Karneval erinnern lässt. Im Anschluss versuchen alle wie verrückt Plastik-Flaschen auf den Tempel zu werfen, damit die Wasserträger etwas von dem heiligen Wasser für die Dorfbewohner abfüllen können. Daraufhin waschen sich die Dorfbewohner mit diesem Wasser, um sich zu reinigen.


Neben der Tempeleinweihung ist es sehr angenehm mit den Leuten in Kontakt zu kommen. So lauschen wir den imposanten Klängen der Straßenmusiker und erfahren nebenbei, dass bei derartigen Tempelfesten eine freie Essensausgabe existiert, die von den Dorfbewohnern im großen Ausmaß angenommen wird. Um der extremen Mittagshitze zu entfliehen geht es per Bus zurück ins Dorf.